Flinkenberg


Familie Meinhardt
Franz Meinhardt
Jg: 1877
Deportiert: 1942
Ermordet: 1942 im ghetto Warschau
FLINKENBERG 26
verlegt: 25. März 2010
Margarete Meinhardt
Jg: 1880
Deportiert: 1942
Ermordet: 1943 in Treblinka
FLINKENBERG 26
verlegt: 25. März 2010
Mein Name ist Alfred Michael Meinhardt. Ich möchte euch zum einen die Überlebensgeschichte meiner Eltern und zum
anderen das tragische Schicksal meiner Großeltern erzählen. Sie waren Opfer des Antisemitismus.
Mit der Ansiedlung der Hugenotten und Juden im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich nicht nur ein profitabler
Wirtschaftszweig in Form von Tabak, sondern auch eine jüdische Gesellschaft in Schwedt.
Mein Großvater Franz Meinhardt, geboren am 15. Januar 1877, führte das Geschäft seiner Vorfahren fort. Als Leiter
seines eigenen Betriebes baute er Tabak an und verarbeitete diesen. Oft musste mein Vater Gerd bei der mühseligen
Arbeit helfen, die Blätter zum Trocknen aufzuhängen. 1933 hat Franz sein Geschäft an seinen Sohn übertragen, der zu
diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt war.
Mit der aufsteigenden Macht Hitlers entstanden immer mehr Beschränkungen für Juden, sodass sich meine Tante 1935
verpflichtet fühlte, aus Deutschland nach Israel zu flüchten. Der Rest der Familie blieb zunächst in Schwedt, im Haus
von Franz und seiner Frau Margarethe, in der Straße Flinkenberg 6. In dieser so schweren Zeit verliebten sich Gerd und
Käte, die im April 1938 in Breslau heirateten.
Nur wenige Monate später, in der Nacht vom 9. zum 10. November, wurden sämtliche jüdische Gebäude in der Stadt
zerstört und alle Männer verhaftet, darunter auch Gerd und Franz. Dabei fragte mein Großvater die Polizisten immer
wieder, was er denn verbrochen habe, da es keinen Grund für die Verhaftung gäbe. Sie kamen ins Schwedter
Gefängnis, das die älteren Menschen, unter anderem Franz, schon nach einigen Tagen wieder verlassen durften.
Jedoch wurde mein Vater ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, aus dem er im folgendem Februar wieder
freikam.
Die Gefahr durch die Nazis für die Familie wurde immer bedrohlicher. Die größte Einkommensquelle der Meinhardts, der
Tabakbetrieb, wurde ihnen genommen, wodurch sich meine Mutter Käte um ein Visum für außereuropäische Länder
bemühte, das nur sehr schwer zu bekommen war. Im Mai gelang es ihr schließlich, ein Visum für Chile zu erlangen, wo
sie mit Gerd glücklicherweise noch vor Beginn des 2. Weltkrieges mit dem Schiff hinfuhr.
Diese Überfahrt war mit ca. 1000$ sehr kostenaufwendig, was jedoch durch die Hilfe nichtjüdischer Bekannter möglich
war. Großvater allerdings liebte seine Heimat und empfand sich selbst nur als Hindernis in einem fremden Land. Zudem
sagte er: „Geht nur, wir halten hier die Stellung, bis dieser Hitler weg ist.“
Diese Hoffnung ging jedoch schon bald wieder verloren, als Franz und Margrethe im März 1942 in ein jüdisches
Arbeitsheim gebracht wurden, wobei auch ihr kompletter Besitz, wie Konten und ihr Haus, eingezogen wurde.
Die Überlebenschancen verschlechtern sich, weil sie im nächsten Monat tagelang in Viehwaggons ins Warschauer
Ghetto transportiert wurden. Die Lebensbedingungen dort waren katastrophal, aufgrund von Krankheiten und wenig
Nahrung. Großmutter schrieb in einem Brief über den Tod ihres Mannes, der am 10. Mai 1942 durch eine bis heute nicht
bekannte Ursache verstorben war. Ihr Schicksal war ebenso tragisch, denn sie kam bei dem Transport nach Treblinka
am 22. Juli ums Leben.
Meine Großeltern hatten noch viele Jahre vor sich, da sie erst 65 bzw. 62 Jahre alt waren. Jedoch konnten sie ihre
Freiheit während des Nationalsozialismus nicht genießen, denn alle Juden wurden schikaniert und massenhaft
umgebracht. Glücklich bin ich darüber, dass meine Eltern nach Chile flüchten und sich ein neues, normales Leben
aufbauen konnten. Dort sind mein Bruder und ich zur Welt gekommen. Dennoch fühle ich, dass meine Wurzeln in
Deutschland sind, weshalb ich nach meiner Hochzeit mit meiner eigenen Familie nach München gezogen bin.
were victims of anti-Semitism.
With the settlement of Huguenots and Jews in the 17th and 18th centuries, not only did a profitable industry in tobacco develop, but also a
Jewish community in Schwedt.
My grandfather, Franz Meinhardt, born on January 15, 1877, continued the business of his ancestors. As the head of his own enterprise, he
cultivated and processed tobacco. Often, my father, Gerd, had to help with the laborious task of hanging the leaves to dry. In 1933, Franz
transferred his business to his son, who was 30 years old at that time.
With the rising power of Hitler, more and more restrictions were imposed on Jews. In 1935, my aunt felt compelled to flee from Germany to
Israel. The rest of the family initially remained in Schwedt, in the house of Franz and his wife, Margarethe, at Flinkenberg 6. During this difficult
time, Gerd and Käte fell in love and got married in April 1938 in Breslau.
Just a few months later, on the night of November 9 to 10, all Jewish buildings in the city were destroyed, and all men, including Gerd and
Franz, were arrested. My grandfather repeatedly asked the police officers what he had done wrong since there was no reason for the arrest.
They were taken to the Schwedt prison, where the older people, including Franz, were released after a few days. However, my father was
deported to the Sachsenhausen concentration camp, from which he was released the following February.
The danger posed by the Nazis to the family became increasingly threatening. The Meinhardt’s main source of income, the tobacco business,
was taken away from them. This led my mother, Käte, to pursue a visa for non-European countries, which was very difficult to obtain. In May,
she finally managed to obtain a visa for Chile, where she and Gerd fortunately traveled by ship before the start of World War II.
This passage was costly, about $1,000, but it was made possible through the help of non-Jewish acquaintances. However, my grandfather
loved his homeland and considered himself only an obstacle in a foreign land. He also said, „You go, we’ll hold the fort here until Hitler is gone.“
This hope was soon lost when Franz and Margarethe were brought to a Jewish labor camp in March 1942, and their entire possessions,
including accounts and their house, were confiscated.
Their chances of survival worsened as they were transported in cattle cars to the Warsaw Ghetto for several days the following month. The
living conditions there were catastrophic due to disease and lack of food. In a letter, my grandmother wrote about the death of her husband, who
passed away on May 10, 1942, due to an unknown cause to this day. Her fate was equally tragic as she perished during the transport to
Treblinka on July 22.
My grandparents had many years ahead of them, as they were only 65 and 62 years old, respectively. However, they couldn’t enjoy their
freedom during the Nazi era, as all Jews were harassed and systematically killed. I am grateful that my parents were able to flee to Chile and
build a new, normal life there. My brother and I were born there. However, I still feel that my roots are in Germany, which is why I moved to
Munich with my own family after getting married.