…durchgeführt durch Schüler der Kurse EL 11 Ge-0 und EG33 Ge-0

Vorwort zum Projekt Flucht und Vertreibung:

Als Kurslehrerin möchte ich mich zunächst bei den Großeltern und Schülern bedanken, die die Mühe auf sich genommen haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Mitunter habe ich geringfügige Änderungen vorgenommen, die sich aber nur auf sprachliche Aspekte beschränkten, den Inhalt aber nicht berührten.
Ich danke auch dafür, dass Sie sich bereit erklärt haben, Ihre Erlebnisse und Bilder zu veröffentlichen.

Die Problematik, Flucht und Vertreibung in Folge des Zweiten Weltkrieges, persönlich durch die Schüler zu recherchieren, erscheint mir auch deshalb wichtig, damit ein individueller Bezug zur Geschichte entsteht.

Ein weiterer Aspekt ist, dass in der DDR-Geschichtsschreibung dieses Themenfeld nur wenig Beachtung fand, da so auch Verbrechen der Roten Armee hätten erwähnt werden müssen und diese bekanntlich nicht in das offizielle Bild des Befreiers gepasst hätten.

Trotz aller persönlichen Schicksale und Dramen, die sich abgespielt haben, sollte dennoch immer beachtet werden, dass die Ursachen dafür in dem mörderischen, barbarischen System Hitlerdeutschlands lagen. Ralph Giordano schreibt dazu: „Wer hatte geglaubt, dass das, was sich in dieser Riesenarmee gegen den Aggressor aufgestaut hatte an Gründen für Rache und Vergeltung, wer hatte hoffen können, dass der Bumerang der Gewalt nicht fürchterlich zurückschlagen würde auf den, der ihn ausgesandt hatte?“

Das Projekt soll nicht als rückwärtsgewandter Ungeist oder gar als revanchistischer Beitrag verstanden werden. Es erhebt lediglich den Anspruch, unter Beachtung der Chronologie und der Kausalität von Ursache und Wirkung, eine Öffentlichkeit herzustellen, die den Opfern von Verbrechen gegen die Menschlichkeit allgemein gebührt.

Susanne Tomczak

Meine Oma erinnert sich an die Flucht

Patrick Gehring 11/ II – Leistungskurs Geschichte

Ute Gehring, 12.02.06
Jahrgang: 1939, geb. in Stargard

Stargard war eine schöne Stadt mit mittelalterlichem Stadtkern, geprägt durch Baudenkmäler wie der mächtigen gotischen Backsteinkirche, der Marienkirche, der Johanneskirche, Basteien und Wehrtürme, schon von weitem grüßen die emporstehenden Kirchentürme. Die Marienkirche ist heute in das Denkmalregister der UNESCO eingetragen.
Stargard galt als Kleinod Pommers. Die Stadt hatte damals 40.000 Einwohner heute sind es rund 75.000. Übrigens ist Stargard wohl der einzige Ort, der seinen deutschen Namen behalten hat, das hängt wohl mit seiner einmaligen Lage zusammen: durch Stargard verläuft der 15. Meridian östlicher Länge, der auch als Hauptmeridian in der mitteleuropäischen Zeitzone gilt.
Dort verlebte ich eine unbeschwerte Kindheit. Meine Eltern besaßen dort ein großes Geschäftshaus mit Fleischerei. Da wir damals schon ein Auto hatten, konnte die ganze Familie viele schöne Tage am nahe gelegenen Madüsee verbringen.
Unser Leben änderte sich schlagartig im Februar 1945. Da die ersten Bombenangriffe auf Stargard begannen, hatte unsere Mutter meine ältere Schwester und mich zur Oma aufs Dorf, nach Hansfelde gebracht. Dort haben wir auch sonst schöne Tage erlebt. Die Oma besaß dort eine Gaststätte und Kolonialwarenladen sowie eine Landwirtschaft. In den ersten Februartagen war dort Schlachtfest. Ich erinnere mich, dass meine Tante zum Bürgermeister ging, um die Schlachterlaubnis zu holen und dieser zu ihr sagte: „Die Russen stehen vor Stargard, packen Sie ihre Sachen und verlassen sie das Dorf!“.
In aller Eile wurde ein Pferdewagen, ausgestattet mit dem größten Teppich als Plane gepackt. Männer gab es keine auf dem Hof, der Großvater war tot, mein Vater und Onkel waren im Krieg. Meine Großmutter, eine sehr couragierte Frau, übernahm die Leitung, gemeinsam mit ihren Töchtern, meiner Mutter und einer Tante. Meine Oma hatte an alles gedacht: neben Kleidung und Geschirr kam Wurst, Schinken, ein Sack Zucker, Mehl, Salz, Spirituosen und Tabakwaren auf den Wagen. Diese Dinge hielten uns auf der langen Flucht am Leben, denn damit konnten wir einige andere lebenswichtige Dinge eintauschen.
Ich erinnere mich an folgende Begebenheit: Oma hängte ihre wertvollen Kleidungsstücke an die Rückwand des großes Kleiderschrankes und schob diesen wieder an die Wand, in der Hoffnung, diese nach der Rückkehr dort noch vorzufinden. Aber das blieb ein frommer Wunsch, sie hat ihre Heimat nie wieder gesehen.
Am 6. Februar, bei klirrender Kälte, es waren -20 °C, begann unsere abenteuerliche Reise. Wir Kinder erkannten den Ernst der Lage erst später und empfanden es anfangs wirklich als Abenteuer. Wir lagen im hinteren Teil des Wagens dick angezogen in unseren Federbetten, meine Oma lenkte abwechselnd mit meiner Tante die Pferde.
Insofern hatten wir noch Glück, das wir mit dem Pferdewagen unterwegs waren, denn auf den Landstraßen bewegten sich ungeheure Menschenmassen, viele zu Fuß, Frauen mit Kindern an der Hand und ihren Habseligkeiten in Rucksäcken und Taschen. Unsere Route erstreckte sich von Hansfelde über Stargard – Stettin – Pasewalk – Anklam – Greifswald – Stralsund bis nach Hohendorf. Wir waren Monate die etwa 300 km lange Strecke unterwegs. Wehmut kam vorerst nur bei den Erwachsenen auf, hatte sie doch alles, was ihnen lieb und wert war, verlassen müssen. Die Zukunft war ungewiss. Hinzu kam der Kampf ums tägliche Überleben. Das bekamen wir dann auch als Kinder mit. Meine Schwester erkrankte an Diphtherie, einer sehr gefährlichen Infektionskrankheit. Mir ist heute noch ein Rätsel, wie sie das überstanden hat. Mitgenommene Medikamente waren bald aufgebraucht, einzige Medizin war nun etwas Rum. Zu essen und trinken gab es nur dann etwas Warmes, wenn es unterwegs hilfsbereite Menschen gab. Es wurde deshalb ein einziger Überlebenskampf. Dazu kamen die Bombenangriffe. Nirgends gab es Schutz, wir standen mit dem Pferdewagen auf freiem Feld, wir Geschwister verkrochen uns vor Angst oft darunter.
Als wir vor Stettin die Oder überquere wollten, war die Brücke teilweise schon gesprengt. Jeder versuchte, so schnell wie möglich diese zu überqueren, keiner nahm auf den anderen Rücksicht. Ich erinnere mich, wie ein Fuhrwerk abgedrängt wurde und in die eisigen Fluten der Oder stürzte. Ein Fahrradfahrer, der wohl dazu gehörte, stürzte sich ebenfalls hinterher.
Da ich erst 5 Jahre alt war, kann ich mich an vieles nicht mehr erinnern. Wie wir das überstanden haben, erscheint mir heute wie ein Wunder.
Die erste Unterkunft erhielten wir dann in Hohendorf bei Stralsund. Dort holten uns die Russen ein. Zuerst wurde das Gutshaus geplündert, die Gutsfrau und deren Tochter vergewaltigt und erschossen. Erst als der Kommandant in unser Haus mit einzog, war etwas Ruhe. Wir bekamen die erste Milch, denn alle Frauen mussten die Kühe des Gutes melken. Zu uns Kindern waren die Russen freundlich, trotzdem hatten wir anfangs große Angst vor ihnen. Die Älteren hatten uns vor ihnen gewarnt, sie hatten das bekannte Feindbild vor sich, das den Russen als Untermenschen und Barbaren zeigte.
Viele unserer Verwandten und Bekannten zogen weiter in Richtung Westen. Da meine Großmutter aber fest an eine Rückkehr in die Heimat glaubte, fuhren wir wieder Richtung Pasewalk. Wieder waren wir Wochen unterwegs. Unsere Pferde hatten die Russen gegen 2 alte klapprige Pferde getauscht, wir kamen nur langsam vorwärts. Auf dieser Tour wurden wir dann nicht von den Russen, sondern von den Polen in Anklam geplündert. Sie befreiten uns von unserem Geschirr und Kleidung. Meiner Schwester und mir wollten sie sogar die Kleider ausziehen, nur durch lautes Weinen hielten wir sie davon ab.
Wir landeten dann im April in einem kleinen Dorf bei Löcknitz, Retzin. Dort mussten wir erfahren, dass wir als Flüchtlinge nicht willkommen waren. Ein Bauer sagte zu uns: „Ihr seit schlimmer als die Kartoffelkäfer, euch werden wir auch nicht mehr los.“. In diesem Dorf fanden wir Unterstützung bei den Ärmsten, den Landarbeitern, die Großbauern würdigten uns keines Blickes. Sie akzeptierten uns erst später nachdem sie feststellten, dass wir auch keine Dummen waren. Als Neubürger ließen wir uns nicht unterkriegen. Meine Mutter übernahm die Verkaufstelle im Ort und leitete eine Abteilung im Pasewalker Kaufhaus. Die Tante heiratete einen Bauer und bekam eine Neubauernwirtschaft nach der Bodenreform.
Wir Kinder besuchten erst die Grundschule des Dorfes und später die Oberschule in Löcknitz. Meine Schwester studierte an der Finanzschule in Gotha, ich wurde Lehrerin und habe 40 Jahre in diesem Beruf gearbeitet.
Aber meine Gedanken weilen noch heute oft in der alten Heimat. Mit meiner Mutter haben wir Stargard mehrmals besucht, unser Haus steht nicht mehr, es fiel den Bomben zum Opfer, dort ist aber ein neues entstanden. Das Haus meiner Großeltern steht noch, leider konnte sie es nicht mehr wieder sehen, denn in den ersten Nachkriegsjahren war eine Reise nach Polen unmöglich. Sie konnte aufgrund der deutschen Teilung auch ihre älteste Tochter und ihren einzigen Sohn nie mehr sehen.
Mein Mann und ich sind schon oft in Stargard gewesen, wir haben die ganze polnische Küste bereist. Auf unserem letzten Besuch begleiteten uns unser Sohn mit Familie. Seit 35 Jahren haben wir freundschaftliche Kontakte zu einem Ärzteehepaar in Stettin. Heute gedenken wir nach über 60 Jahren der schlimmen Zeit und sind froh, dass zumindest in Europa die Welt freundlicher geworden ist. Freuen wir uns, dass sich Europa so entwickelt, dass solche grauenvollen Kriege mit so viel Leid und Elend hoffentlich der Vergangenheit angehören und unseren Kindern und Enkeln solches Schicksal erspart bleibt.

Mein Geburtshaus in Stargard, Jobststr.
links Schaufenster: Fleischerei Modrow Geschwister Ute & Karin
vor dem Gasthaus in Hansfelde, 1944

Befragung der Großmutter, die aus den Erinnerungen der Eltern berichtet

Laura Freese 11/ II – Geschichte

14.02.06

Meine Oma Jutta Frieda Charlotte (geb. 15.2.1942) lebte in einem kleinen Vorort von Stettin. Vater und Mutter waren Schneider und hatten eine eigene Schneiderwerkstatt. Ihre Mutter kam ursprünglich aus Wilsichow bei Strasburg, ihr Vater stammte aus Mewegen bei Löcknitz. Die Familie lebte in einem schönen Haus mit einem großen Grundstück mitten im Wald. Juttas Mutter war schwanger und alles schien in bester Ordnung zu sein, denn der Vater brauchte nicht in den Krieg, da er auf einem Fliegerhorst arbeitete. Jedoch fürchteten sie auch die Flucht, denn die Rote Armee rückte von Ostpreußen westwärts immer näher. Es durfte aber nicht jede Familie fliehen, wann und wohin sie wollte. Die SS bestimmte, wann und wer auf Treck gehen sollte. Alles war streng organisiert.
So hatte sich herumgesprochen, dass einige Bewohner aus dem kleinen Vorort Stettins erschossen worden waren, da sie sich ohne Anweisung der SS auf die Flucht begaben.
Juttas Eltern ahnten, dass sie irgendwann auch auf Treck gehen müssten. Demzufolge hatten sie immer einen kleinen Handwagen vorbereitet, auf dem sich Bettwäsche befand, um daraus Windeln für das noch ungeborene Kind zu nähen, Trockenfrüchte, da diese nahrhaft und Platz sparend sind, Töpfe, etwas Kleidung, Betten, Bilder, sowie Papiere, die in einem großen Beutel eingenäht waren, um sie nicht zu verlieren.
Januar 1945:
Es war bitterkalt. SS-Männer zogen von Haus zu Haus. Die Familien hatten in drei Stunden anzutreten und sich vor ihr Haus zu stellen. Obwohl Jutta schon drei Jahre alt war, musste sie wieder in ihren Sportwagen, denn sie konnte keine weiten Strecken laufen. Ihr Bruder war gerade elf geworden. Also standen sie dort, mit genähten Rucksäcken, denn richtige hatte zu dieser Zeit niemand. Der Handwagen war beladen. Bauern hatten große Pferdewagen, doch Juttas Familie war ja „nur“ eine Schneiderfamilie.
Zehn bis zwanzig Kilometer mussten jeden Tag zurückgelegt werden – zu Fuß. Acht Tage lang waren sie auf Treck in Richtung Westen. Sie zogen bis nach Friedland, wo sie vier Wochen mit anderen Flüchtlingen in Scheunen zusammen lebten. Sie flüchteten zwar aus Angst vor der Roten Armee, entschlossen sich aber Ende Februar 1945 zurück in die Heimat ihrer Eltern nach Wilsichow zu ziehen und dort eine Zeit bei dem Großvater zu leben. Sie glaubten ja immer noch, dass sie zu Hause bleiben könnten.
April 1945:
Dies war ein schwarzer Monat für die Familie. Juttas Mutter wurde von Polen vergewaltigt. Sie war hochschwanger! Da sie mit dem Geschehenen nicht fertig wurde, versuchte sie sich im Mühlenteich von Wilsichow zu ertränken. Sie konnte nicht schwimmen. Einige Männer des Dorfes sahen die junge Frau und retten sie vor dem Ertrinken. Von da an konnte sie nicht mehr richtig schlafen, die Nerven versagten und sie schrie viel. Es schien alles hoffnungslos.
Die Familie beschloss in Wilsichow nicht mehr zu bleiben und sie zogen zurück in das Heimatdorf des Vaters – bei Löcknitz. Dort lebten sie dann auf dem Dachboden eines Hauses – zu viert!
Schon nach kurzer Zeit zog ihr Vater wieder los, um nach Haus und Hof zu gucken. Er kam auf Schleichwegen zwischen Trecks und russischer Armee bis Augustwalde bei Stettin. Als er endlich das Haus erreichte, war es aufgebrochen, Möbel zerschlagen, Schrankinhalte gestohlen, der Nachttisch schwamm in der Badewanne.
Der Vater kehrte mit der Nachricht, dass die Heimat wohl verloren sei, zurück.
Noch 1945 bekamen sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung von der Gemeinde. Juttas Eltern verdienten sich ihr tägliches Brot auch weiterhin mit Näharbeiten. Sie nähten für die Rote Armee. Die Russen brachten Pferdedecken, um sie zu Jacken und Hosen umnähen zu lassen, da sie keine Uniformen mehr bekamen. Da sie den Deutschen nicht trauten, blieben die Soldaten deshalb drei bis vier Stunden bei ihnen zu Hause, bis die Eltern die Sachen zugeschnitten, zusammengeheftet und alles zur Anprobe fertig war.
So kam es, dass ständig Russen bei Jutta zu Hause waren. Ein Raum wurde also zum Nähzimmer, in dem sich ständig Fremde aufhielten. Als Lohn brachten sie der Familie für die Arbeit Brot und andere Naturalien.
Am 14. Juli kam Juttas kleiner Bruder Gerhard zur Welt. Viele Babys überlebten zu dieser Zeit nicht. Oft wurden Babys mit Kuhmilch gefüttert, da die Frauen vor Entkräftung und Hunger keine eigene Milch hatten. Die Mütter wussten nicht, dass dies so kleinen Kindern nicht bekommt. Juttas Mutter aber stillte ihr Baby. Dadurch konnte es überleben. Nun lebten sie zu fünft in einem kleinen Zimmer.
Weiterhin klammerten sie sich an die Hoffnung, „nach Hause“ in ihren kleinen Ort zurückkehren zu können. Doch Juli/August 1945 platzte dieser Traum mit der Potsdamer Konferenz.
Bis zu ihrem Lebensende verdienten sie ihren Unterhalt als Schneider.
Noch Jahre später saßen Juttas Eltern oft nachts draußen, sahen den Lichtschein über dem vierzig Kilometer entfernten Stettin und weinten. Sie lebten für und mit ihren Erinnerungen an „zu Hause“, an ihre Heimat, ihre Stadt Stettin, ihr Dorf. Sie fanden sich damit ab, waren aber nie mehr richtig glücklich und redeten auch zwanzig Jahre später noch immer von „zu Hause“, das bis zu ihrem Tod immer nur die alte Heimat war.

Zeitzeugenbericht: Vertreibung aus meinem Dorf

Grit Damaszek 11/ II – Geschichte

Harry Götze, Februar 2006

Ich erinnere mich:
Meine Eltern lebten in einem kleinem Dorf, 200 Meter von der Oder entfernt, das Randun hieß und zum Kreis Königsberg (Neumark) gehörte. Mein Vater war 1943 zum Militär eingezogen worden und meine Mutter lebte nun allein mit drei Kindern in dem vielleicht 200 Seelen zählenden Dorf, das nur landwirtschaftlich geprägt war. Randun war ein Gut, das Herrn von Arnim gehörte und ein tolles Jagdschloss besaß. Hier traf sich zur Jagdzeit die Aristokratie für wenige Tage des Jahres. Im Herbst 1944 mussten wir Randun verlassen, der Krieg näherte sich dem Ursprungsland. Abends sahen wir die Lichterbäume am Himmel hell leuchtend über Stettin stehen. Schauernd vernahmen wir die Bombeneinschläge und zuckten jedes Mal zusammen. Eines Tages tauchte ein Militärfahrzeug mit mehreren Männern (Volkssturm) auf und gaben den Befehl zur Evakuierung des Dorfes bekannt. Wie das zu geschehen hat, war auf einer langen Liste verzeichnet. Wer nicht bereit zum „Abreisen“ war, wurde einfach erschossen… Uns wurde ein Pferdegespann mit einem Wagen zugeteilt, den wir uns mit 8 Personen teilen mussten. Einem älteren Herrn wurde die Verantwortung für Pferd und Wagen übertragen. Dann ging alles sehr schnell, Wagen an Wagen wurden hintereinander gereiht, Heulen und Zähneklappern konnte man deutlich vernehmen. Von jetzt ab begann die Fahrt ins Ungewisse. Schwerfällig bewegten sich die Ackerwagen mit einem Behelfsdach und eisenbeschlagenen Rädern über die Straßen hinweg. Bekannte Orte, wie Hohen Kränig (Krajnik Grany) – Niederkränig ( Krajnik Dolny) wurden durchfahren und immer wieder hängten sich Fahrzeuge dem Treck an. Vor der Brücke vor Schwedt /O. kam es zu einem Stau. Viele Flüchtlinge wollten über die Brücke- sie sollte gesprengt werden – und erzeugten somit ein Chaos. Da die Hauptstraßen oftmals durch Militärfahrzeuge verstopft waren, mussten Landstraßen befahren werden. Wir kamen schließlich in Mürow bei Angermünde an. Die Pferde wurden hier ordentlich versorgt und konnten sich in Ställen ausruhen. Wir wurden in ein Schloss geführt und konnten uns ausruhen. Das Schloss gehörte auch der Familie von Arnim. Nach ein paar Tagen ging wieder ein Ruck durch die Flüchtlinge, der Treck ging weiter, aber diesmal mit der Bahn. Was man tragen konnte durfte man mitnehmen. Was war wichtig für eine alleinstehende Frau mit drei Kindern? Das Chaos auf den Schienen begann. Militärtransporte hatten Vorfahrt vor Flüchtlingstransporten. Es ging vor – und rückwärts von Angermünde nach Königs Wusterhausen und dann weiter rückwärts bis Groß Könis bzw. Schwerin. Jetzt ging verkehrstechnisch gar nichts mehr. Alle Familien wurden auf heimische Familien aufgeteilt, was bis zur endgültigen Kapitulation anhalten sollte. Im September begann ein neuer Treck, denn wir wollten nach Hause. Doch zu Hause gab es nicht mehr. Neue politische und geografische Gegebenheiten wurden geschaffen. Unser Treck endete in Mürow, Kreis Angermünde. Dies war eine grausame Zeit in meinem Leben.

Fröhlich sein, Hitler Kaputt! – Martin Kruse 11/ II – Geschichte

Eleonore Kruse, Mai 2006
geb. 07.08.1938 in Greifswald

Im Frühjahr 1945 wurde Greifswald von den russischen Einheiten eingenommen. Zuvor hatte sich Greifswald ergeben und die Bürger hatten die Anweisung weiße Fahnen (meist Bettlaken) aus dem Fenster zu hängen um ihren friedlichen Willen zu demonstrieren.
Meine Großmutter erzählte:

„Dadurch, dass sich Greifswald ergeben hatte, konnten die schlimmsten Schäden abgewendet werden, in der nächst größeren Stadt Anklam, die umkämpft wurde, waren die anschließenden Plünderungen und Verbrechen weitaus schlimmer.
Als die Russen dann einmarschiert sind, haben sie gesungen. Natürlich hatten wir riesige Angst vor den Russen, wir hatten ja schreckliche Geschichten von Plünderungen und Misshandlungen gehört.“
Damals hatten die Türen noch von beiden Seiten Klinken, also konnte der erste Russe ganz einfach die Wohnungstür aufmachen. „Die Tür ging langsam auf und der Russe kam rein, sah unsere ängstlichen Gesichter und sagte nur: „Warum traurig? Fröhlich sein, Hitler kaputt!“. Er ging dann einmal durch die Wohnung und nahm sich die goldene Uhr meines Vaters, er war in russischer Kriegsgefangenschaft.
In der Küche hatten wir die ganze NS-Literatur vor dem Herd gestapelt – zum verbrennen. Ganz oben lag Hitlers „Mein Kampf“. Dem Russen war es allerdings egal, was für Bücher und Hefte da lagen, er versicherte sich nur, dass keine Gefahr von der Wohnung ausgeht, also dass keine Waffen versteckt waren und nahm sich, was er für wertvoll hielt.“