Am 27.01.2006 besuchte der Leistungskurs/Geschichte 13 die Anne Frank-Wanderausstellung in den UBS. Im Anschluss daran hatten die Schüler die Gelegenheit einen Zeitzeugen, der die Shoa überlebte zu befragen. Zwi Aviram, früher Heinz Abrahamson, geboren am 19.1.1927 in Berlin, überlebte als Mitglied der jüdischen Widerstandsbewegung die Verfolgungen der Nazis. Seine Eltern wurden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Zwi Aviram lebt heute in der Nähe von Tel-Aviv.
Zu diesem Gespräch verfassten zwei Schüler des Kurses eine Rezension:

Zwi Aviram überlebte im Untergrund die ShoaAnne Tober 13/II – Leistungskurs Geschichte

Zwi Aviram entging als Jugendlicher der Massenvernichtung durch die Nazis. Unabhängig davon, dass jeder Zeitzeugenbericht von Überlebenden der Shoa von großem Wert ist, war das Interessante an seiner Geschichte, dass er im Berliner Untergrund überlebte. Sein Bericht brachte dem Zuhörer nahe, wie es denjenigen Juden ging, die der Verfolgung durch die Nazis innerhalb Deutschlands durch ein Leben in der Illegalität entkommen sind.
Heinz Abrahamson, der sich nach seiner Emigration nach Israel 1949 in Zwi Aviram umbenannte, wurde am 19.1.1927 in Berlin geboren. Sein Vater war Schuster. Durch die ab 1935 erlassenen Rassengesetzte verarmte seine Familie zusehends.
Eine erste Gänsehaut bekommt der Zuhörer, als Zwi Aviram davon berichtete, wie er als 11jähriger während der Novemberpogrome 1938 von der Mutter beauftragt wurde, seinen Vater suchen zu gehen und nach Hause zu bringen und er dabei das Bild der Verwüstung beschreibt, welches sich ihm in den Straßen bot. Dadurch wurde ein abstrakter Begriff wie „Reichspogromnacht“ viel realer und erschreckender. 1939 konnte seine neunjährige Schwester durch glückliche Umstände nach England geschickt werden, von wo aus sie später nach Australien auswanderte.
1941 schloss er die Schule ab und wurde sofort danach zur Zwangsarbeit in die Tachometerwerken rekrutiert. Er war erst 14! Als 1941 die „Evakuierungen“ durch die Nazis begannen, wusste laut seiner Aussage niemand, was es damit auf sich hatte, wodurch das methodische Vorgehen der Nazis sehr gut verdeutlicht wurde.
1943 verlor er seine Eltern im Zuge der von den Nazis durchgeführten so genannten „Fabrikaktion“. Sie wurden nach Auschwitz deportiert ohne dass er sich von ihnen verabschieden konnte. Das ließ den Zuhörer sprachlos und machte die Grausamkeit dieses Regimes sehr deutlich. Nur durch Glück entging er an diesem Tag dem Schicksal seiner Eltern, da seine Nachtschicht um sechs Uhr vor Beginn der Deportationen durch die SS endete und er sich zu dem Zeitpunkt, an dem die SS seine Wohnung stürmte, in der Stadt aufhielt. Durch Zwi Avirams sehr anschauliche und ansprechende Vortragsweise konnte er dem Zuhörer seine damalige Lage sehr gut verdeutlichen. Als 16jähriger Junge stand er plötzlich allein da, ohne Familie, ohne Essen und ohne Wohnung und überall lief er Gefahr nach seinen Papieren gefragt zu werden und festgenommen zu werden…
Es erschien unglaublich, wie viele glückliche Umstände, gute Beziehungen, wie viel Mut und Überlebenswillen nötig waren, um durchzukommen. An seinem Vortrag wird aber auch deutlich, dass in seinem Fall auch viel jugendlicher Leichtsinn mit im Spiel gewesen ist, der ihm von Nutzen war, so zum Beispiel die Tatsache, dass er sich von Anfang an geweigert hatte, einen Judenstern in der Öffentlichkeit zu tragen, wodurch er auch später nicht von vornherein als Jude gebranntmarkt war. Ein weiterer wichtiger Punkt war sicherlich auch, dass er nichts zu verlieren hatte. Als gegensätzliches Beispiel dafür nannte er einen Arbeitskollegen, der seine Familie nicht verlassen wollte, um in die Illegalität abzutauchen. Sie überlebten alle nicht die Shoa.
Seine weitere Geschichte ist eine wahre Odyssey. Über diverse Untergrundorganisationen fand er Verstecke und konnte sich über Wasser halten, brachte sich andererseits aber auch in große Gefahr, indem er Flugblätter und Lebensmittelkarten verteilte. Dadurch erhielt der Zuhörer einen Einblick in die Arbeit und den Aufbau von solchen Organisationen. Insbesondere 1944 arbeitete er intensiv für die zionistische Untergrundorganisation in Berlin und stand in Kontakt mit deren Zentrale in Genf. Laut seiner Aussage hätten sie in diesem Jahr keinen einzigen Juden verloren.
Weiterhin erfährt man auch einige interessante Details, zum Beispiel dass sogenannte „Mischehen“ in Berlin zunächst von den Nazis geduldet wurden und dadurch vielen Juden Unterstützung zukommen konnte. Bis 1943/44 wussten die Berliner Juden auch nicht konkret darüber Bescheid, was auf den Transporten in den Osten geschah. Es ist erstaunlich, dass Zwi Aviram zwar zweimal durch jüdische Spitzel verraten und inhaftiert wurde, aber beide Male durch glückliche Umstände entkommen konnte. Er wurde auch nicht sofort gen Osten geschickt sondern für Verhöre in der Großen Hamburger Straße festgehalten, um wichtige Informationen von ihm zu erpressen. Beim ersten Mal gelang es ihm mit zwei weiteren Gefangenen zu fliehen und beim zweiten Mal, kurz vor Kriegsende, erhielt er von einem Gestapo-Offizier seine Entlassungspapiere.
Als Zuhörer merkte man eindeutig, dass inzwischen über 60 Jahre vergangen sind, denn Zwi Aviram berichtete von diesen schrecklichen Erfahrungen mit einem gewissen Humor. Auf die Frage wie ihn diese Zeit geprägt habe, antwortet er, dass er für lange Zeit ein ganz anderer Mensch gewesen sei, verschlossen und in sich gekehrt. Er sei erst nach langer Zeit in der Lage gewesen, darüber zu reden.
Abschließend lässt sich festhalten, dass ein Zeitzeugenbericht eine gute Ergänzung zu abstrakten Fakten ist. Er spricht die Emotionen an und hilft einem, sich in die damalige Situation hineinzuversetzen. Somit wird auch die Gefahr unterdrückt, alles zu abstrakt und distanziert zu betrachten und die menschliche Seite zu vergessen. Berichte über Einzelschicksale sind eine gute Bereicherung und dienen somit auch dem Zweck, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, was, wie Herr Aviram gegen Ende bemerkte, eine positive Voraussetzung für die Zukunft ist.

Nachdenken über die Begegnung mit dem Zeitzeugen Zwi Aviram Benjamin Hübbe 13/II – Leistungskurs Geschichte

Die Shoa, so stellt man wiederholt fest, ist ein äußerst sensibles Thema. Sensibel nicht nur, weil es zuviel Fakten, zuviel Leid und zuviel Einzelschicksale umfasst, als dass man sich anmaßen könnte als Nachgeborene/r wirklich verstehen und nachempfinden zu können. Sondern es bleibt vielmehr dabei, dass der Umgang mit dieser Vergangenheit eines der Grundprobleme ihrer Verarbeitung selbst bleibt.
Mit dem Deutschland-Besuch des neunundsiebzigjährigen Zwi Avirams (früher Heinz Abrahamsohn), der Shoa-Überlebender ist, und am 26. Januar 2006 in die Uckermärkischen Bühnen zu Schwedt geladen war, wurde der Versuch gemacht mit der Shoa umzugehen.
Als Zuhörer ging man mit unterschiedlichen Gefühlshaltungen zu jener Veranstaltung. Als Nachgeborener aber stand man in erster Linie vor dem Problem, wie man sich angemessen benehmen oder fühlen soll, gerade weil man den „Fluch“ der Schuld auf sich spürt, persönlich aber keinerlei Identität mit ihr finden kann. Eine differenzierte Positionierung als Nachgeborener fällt damit oft sehr schwer.
Es erscheint daher förderlich, wenn man einem Zeitzeugen begegnet, der einfach seine Lebensgeschichte erzählen will und aus diesem Erzählen heraus nicht unmittelbar in eine Mission verfällt. Zwi Avirams Erzählen konnte hieraus folgend als ein Kompromiss zwischen rein analytischer Betrachtung und emotionaler Betrachtung bezüglich der Shoa gesehen werden.
Fast nüchtern erzählte er die Ereignisse vor 1933, aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie, nicht reich aber dennoch ihr Auskommen habend, beschrieb Zwi Aviram auch den wohlbehütenden Mythos des Kaiserreiches, der seinen Vater noch umgab. Es war für alle Anwesenden verständlich, dass er die Geschichte seiner Eltern nicht weiter thematisieren wollte. Eindringlich, aber dennoch sachlich distanziert, konstatierte er, dass im Zuge der nazistischen Machtergreifung fast das gesamte Familienvermögen verloren ging und sowohl der damals sechszehnjährige Heinz Abrahamsohn, als auch seine Eltern Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes wurden.
Als Zuhörer merkte man, dass er die Fakten für sich sprechen lassen wollte und wiederholte und appellierte nur an einigen Stellen mit erhobener Hand und -Stimme. Eine überladene Emotionalisierung der Shoa, die nur neues Schuldbewusstsein, aber wenig aktives Auseinandersetzen bei den Zuhörern gefördert hätte, wurde damit versucht zu umgehen.
Als Nachgeborener bringt man mit dem Begriff der Shoa zu aller erst die organisierte Vernichtung der jüdischen Bevölkerung während der nazistischen Herrschaft in Verbindung, übersieht aber dabei häufig den schleichenden Terror, von dem unter anderem Zwi Aviram betroffen gewesen war. Mit seinen Berichten wurde man sich wieder darüber bewusst, dass die permanente Angst vor der Deportation eine ungeheure Qual der menschlichen Seele bedeutete, was kein Mensch, sofern er es nicht selbst erlebt hatte, nachzuempfinden im Stande ist.
Wenn man sich als Neunzehnjähriger darüber bewusst wird, dass dieser damals sechszehnjährige Mann mit einmal allein da stand, weil seine Eltern am 27. Februar 1943 deportiert wurden, am Tage der als „Fabrikaktion“ von den Nazis getarnten organisierten Deportation der noch in Berlin verbliebenen Juden, so fällt es einem verständlicherweise schwer sich diesem Mann gegenüber angemessen zu verhalten.
Darf man ihm in die Augen schauen? Darf man ihm das eigene Mitgefühl zeigen, oder würde man ihn dadurch beleidigen? Man sitzt fest in einem Gefühlsdilemma und es scheint fast so, als ob dieses Dilemma der eigentliche Gegenstand sei, um den es sich bei der Verarbeitungspraxis der Nachgeborenengenerationen handle. Es wird einem klar, dass die Nachgeborenen noch nicht das Medium für ihre Verantwortung vor dieser Vergangenheit gefunden haben. Und man fühlt sich, als könnten sie es nie finden, weil sie sich jedes Mal selbst belügen müssten, wollten sie etwas über die Shoa schreiben. Es ist das permanente Gefühl eines der „Sache-Nicht-Gerecht-Werdens“ und die Frage nach der Angemessenheit. Darauf scheint sich die gesamte historische Auseinandersetzung über die Verarbeitung der Shoa zu verfestigen. Möglicherweise wird durch diese Weise der Vergangenheitsbewältigung eine Art Überdruss gerade in der jungen Generation gefördert. Das Problem bleibt, dass man dem aber auch als Angehöriger dieser Generation keine andere Bewältigungsweise entgegensetzen kann.
Man fühlte sich peinlich berührt, wenn Zwi Aviram mit einem leichtem Lächeln feststellte: „Man musste einfach Glück haben [nicht von der Gestapo gefasst und deportiert zu werden]“. Und es sind diese Sentenzen, die einem als Zuhörer bestimmte Zitate in das Gedächtnis rufen, wie jenes von Jaques Prevert, der einmal schrieb: „Tout est perdu sauf le bonheur.“ („Alles ist verloren, bis auf das Glück.“). Man wusste nicht, ob man mitlächeln oder weinen sollte. Man konnte Zwi Avirams latente Ironie auf differenzierten Deutungsebenen zwar nachvollziehen, würde sich aber nie trauen, sie in Sprache umzusetzen, denn Gedanken und Gefühle erstarrten im eigenen Inneren. Und man tat nun genau das, was dazwischen liegt: Weder gequält zu lächeln, noch ehrlich in Trauer auszubrechen, verhält man sich distanziert und aufrichtig interessiert.
Es ist daraus auch zu schließen, dass Herr Aviram bewusst bestimmte Leideserfahrungen nur skizzierte und sie nicht en detail beschrieb. Wie etwa als er sich mit einem Freund während der Bombardierungen auf Berlin in einer Gartenlaube versteckte und nur soviel sagen konnte, als dass sie die Laube verlassen mussten, weil sie sonst „verrückt“ geworden wären. Doch dem Zuhörer wurde verständlich, dass Herr Aviram auch vielleicht nicht alles so wiedergeben konnte, wie er es real erlebte, denn auch „[Traumatas]“ verblassen mit der Zeit, die vergeht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ein Vergessensprozess einsetzt, die gefühlsmäßige Grunderfahrung bleibt für ihn allein und die konnte und durfte er seinen Zuhörern auch nicht mitteilen. Es wäre auch nicht seine Aufgabe gewesen sein Innerstes vor dem Publikum offen zu legen, wenngleich es das Interesse einiger Anwesenden wohl geweckt hätte.
Schließlich erzählte Herr Aviram, dass er erst kurz vor Kriegsende noch von der Gestapo verhaftet wurde, obwohl er ab 1943 schon im Untergrund gearbeitet hatte. Und man merkte, dass dieser Fakt des Überlebens für ihn persönlich ein wichtiger Aspekt seiner Vergangenheitsbewältigung darstellt.
Nachdem Zwi Aviram offiziell fertig war mit seinem Vortrag, hielten sich auch die Fragen in einem begrenztem Umfang. Einerseits war man sprachlos, und andererseits wollte man ihn persönlich tiefgründiger befragen, hielt es dann aber für unangebracht.
Zum Schluss hin verfiel Herr Aviram, ob nun zum Wohl oder zum Übel, in einen gewissen Standard. Er begrüße es, dass es junge Menschen gibt, die sich für die Vergangenheit interessieren und offerierte, dass er vorhabe, auf vielseitigem Anraten hin, ein Buch über seine Geschichte zu schreiben. Letztlich bleibt das Herangehen und Umgehen mit der Shoa eines der Grundprobleme ihrer Verarbeitung selbst. Die Shoa bleibt ein sensibles Thema, denn man muss sich auch immer im Klaren darüber sein, wie weit man mit seinem ethischen Verantwortungswillen gehen kann, um auszuschließen, alles Leid in Unwürde zu ziehen.